Der innere Garten

 

Bevor der Mensch mit der spirituellen Suche beginnt, schaut es in ihm oft wüst und ungeordnet aus. Viele körperliche und seelisch-geistige Ungleichgewichte sind vorhanden, die bewusst Probleme verursachen können oder aber noch unbewusst in ihm schlummern. Der Lebensweg wird weitgehend durch das Umfeld und das ICH bestimmt. Der Weg, den das Leben gehen möchte ist wie verbaut und blockiert. Doch wir sehen es oft nicht. Der Mensch befindet sich noch nicht auf dem Weg, der günstiger für ihn ist, und irrt auf der Suche nach Glück und Frieden manchmal unwissend durch das Leben. 

 

Es scheint wie in einem verwilderten Garten zu sein. Pflanzen und Gestrüpp wuchern vor sich hin, ungeordnet und chaotisch, und überlagern die Wege. Das Unkraut durchdringt die kleinsten Ritzen und sprießt hervor. In diesem „Durcheinander“ lassen sich keine wirklichen Strukturen erkennen. Solch ein Garten ist nicht immer ansehnlich. Und so vermeiden wir es gerne, in unseren „inneren Garten“ hinein zu sehen. Dort würde nämlich viel Arbeit auf uns warten. Hinzu kommt eine gewisse Unsicherheit, wie man in seinem inneren Garten am besten aufräumt und pflanzt. Angst vor Fehlern lassen einen erst gar nicht mit der Arbeit beginnen. Vieles scheint undurchdringlich und unmöglich, zu meistern.

 

So beginnen manche Menschen und kaufen sich ein Buch wo drinnen steht, wie es am besten zu tun ist. „Garten für Anfänger“. So beginnen manche und tasten sich an die ganze Sache heran. Man beschäftigt sich mit der äußeren Erscheinung des Gartens, der Verschiedenheiten der Pflanzen und Gemüsesorten, wie man pflanzt, usw. Doch am besten ist es, erstmal ein bisschen Klarheit zu schaffen. Klarheit und Übersicht durch  

  • Aufräumen und Ausmisten 

Das Gestrüpp entfernen, kaputtes entsorgen und vielleicht grobes Unkraut bereits entfernen. In unserem Leben könnte dies bedeuten, dass wir beginnen unser Leben „auszumisten“ und Dinge, die wir nicht mehr benötigen loslassen. Ja, das ist nicht immer so einfach. Oft ist am Beginn die Frage „Womit beginne ich?“. Nun muss dies jeder für sich selbst entscheiden. Aus meiner Sicht wäre es gut, wenn man mit den einfachen Dingen beginnt, die naheliegend sind und die man rasch verändern und loslassen kann. So kommt der Stein ins Rollen und man hat einen Anfang geschaffen. Sind die einfachen Dinge geschafft, kommen die schwierigeren. Hier muss man einfach weiter machen und nicht aufgeben. Lösungen kommen oft, wenn man die Dinge anpackt. Mistet man in seinem inneren Garten aus, so sollten die Dinge manchmal besser entsorgt werden. Es gibt Menschen, die haben bei anderen gerne ein „Eisen im Feuer“. Möchte man sich vielleicht von Menschen distanzieren oder von seiner Arbeitsstelle, so halten sich Menschen gerne noch eine „Türe offen“, falls ihr Vorhaben der Veränderung scheitern sollte. Das Problem kann dann sein, dass die „neue Türe“ nicht richtig aufgeht und man nun zwischen etwas steckt. Auch dies ist immer wieder für sich selbst zu entscheiden. Denn wir selbst tragen für alles im Leben die Verantwortung.

 

Die Veränderungen im Äußeren sind ebenso wichtig wie die im Inneren. Meditative Techniken und Affirmationen, Mantras singen und Asanas üben sind gute Dinge, doch das Leben fordert auch seine Aufgaben.

 

Das Voranschreiten auf dem spirituellen Weg beginnt gemäß der Yoga-Philosophie mit der Lebensweise. Patanjali nennt sie Yamas und Niyamas. 

 

 

Die Yamas sind die ethischen Gebote im Yoga. Sie beschreiben den Umgang mit den anderen Menschen und der Umwelt. Die Niyamas beschreiben den Umgang mit sich selbst. Yamas und Niyamas stellen die ersten beiden Stufen des sogenannten Raja-Yoga, dem Yoga der Gedankenkontrolle, dar. 

 

Die Yamas sind gemäß Patanjali: Gewaltlosigkeit oder Nicht-Schädigen, Wahrheit oder Wahrhaftigkeit, Nicht-Stehlen, sexuelle Enthaltsamkeit und Begierdelosigkeit. Bei den Niyamas finden wir Reinheit oder Reinlichkeit, Zufriedenheit, Eifer und Askese, Studium der Schriften oder des Selbst und die Hingabe an Gott. Der Raja-Yoga führt den Menschen auf seinem Weg vom unbewussten Zustand zum überbewussten, göttlichen Bewusstsein. Auf materieller Ebene beginnend, führt er immer tiefer in die seelisch-geistigen Zustände hinein. Von außen nach innen.

 

So können wir auf dem Weg zu innerem Frieden bereits im Äußeren beginnen und in unserem Lebensgarten etwas aufräumen und eine andere Struktur mit neuen Wegen aufbauen. Dies kostet gerne Mühe und Anstrengung, weshalb der Hatha-Yoga als Yoga der Anstrengung mit Schweiß bezeichnet wird. Ebenso können Tränen fließen, wenn man geliebte Dinge oder Menschen loslassen möchte oder gar muss. 

 

Möchte man etwas pflanzen, so sollte zuerst einmal der Garten umgegraben und das Unkraut entfernt werden. Das Umgraben ist unter anderen wichtig, damit der Boden gelockert wird und sich der Samen besser entwickeln kann. Wir bereiten den Vorgang des Wachsens sozusagen vor. Auf der seelisch-geistigen Ebene wäre es das „Sich-öffnen für Neues“. Es gibt einige Dinge, die wir zu sehr festhalten: Glaubenssätze, Menschen, Handlungsweisen, usw. Diese Starrheit kommt dem harten Boden in unserem Garten gleich. Hier kann kein Samen gut wachsen. Umgraben bedeutet sich öffnen. Ein steiniger und harter Boden ist nicht gut, so wie es im Geist die „verhärteten“ Glaubensmuster sind. Hier findet man besonders die Sturköpfe und starrköpfigen Menschen wieder. Doch gibt es auch Menschen, die sich einen äußeren Schutzpanzer aufgebaut haben. Dieser ist fest und hart und lässt keine Sonne in unseren Garten. Seelische Verletzungen und Traumen aus der Vergangenheit und besonders der Kindheit führen dazu, dass das Herz geschützt wird mit einem oft übermäßigen Wall an Mauern. Sich langsam öffnen und versuchen loszulassen bringt oft mehr Frieden und Gelassenheit. Doch das ist schmerzlich und anstrengend. 

 

Beim Umgraben sollte das Unkraut bestmöglich entfernt werden, da es sonst den Pflanzen Raum nimmt. Unkraut wuchert, wenn man die Wurzel nicht entfernt. In Bezug auf das Unkraut könnte man in der Yoga-Philosophie die Kleshas nennen. Die Kleshas sind die Leidensursachen oder Plagen, die uns quälen und Unwohlsein erzeugen können. Betrachtet man die Kleshas als Triebe, so wird der Aspekt des Unkrauts deutlicher. Die Triebe „treiben“ uns immer an, etwas zu tun. Zu den Trieben gehören der Sexualtrieb und der Überlebenstrieb. Diese fordern immerzu Aktivität. Im normalen Maße vielleicht gar kein Problem, doch gerne werden die Triebe „über-trieben“. Sie fordern nach Befriedigung. Wird diese nicht erfüllt, gibt es Leiden. Komplett kann man dieses Unkraut nur schwer entfernen und an der Wurzel packen, doch man sollte sein Bestes geben. Wobei manchmal etwas Unkraut den Garten natürlicher erscheinen lässt und nicht gekünstelt. Es ist unser innerer Garten. Dieser ist nur für uns und muss nicht anderen Menschen unbedingt gefallen. Wir müssen uns darin wohlfühlen und darin Leben.

 

Das Pflanzen der Samen wäre der nächste Schritt. Zuvor ist es wohl wichtig zu wissen, welche Samen oder Pflanzen man in die Erde bringt. Wir können Pflanzen in den Garten bringen, Obstbäume pflanzen und Gemüse anbauen, Kräuter, usw. Das ist selbstverständlich sehr individuell. Im Ganzen sollte daraus ein harmonisches Ganzes entstehen. Da wir jedoch oft keine Experten für unseren inneren Garten sind, machen wir natürlich auch Fehler. Dies erkennen wird manchmal erst im Nachhinein. Das ist aber in Ordnung. So wachen wir innerlich. Durch unsere Fehler erkennen wir besser, was nicht verändert werden könnte oder müsste. Perfektionismus ist an dieser Stelle fehl am Platz. Ein wichtiger Faktor der Yoga-Praxis ist das Bemühen. Das Bemühen, es gut zu machen - ohne Anspruch auf Perfektion - und die Anstrengung führen zu Erfolg und Lernen. Die Natur ist nie perfekt. Es gibt krumme und schiefe Bäume, gute Früchte und schlecht entwickelte Früchte……..das ist „normal“. Lassen wir es zu, dass unser Garten lange Zeit nicht perfekt wird. Wäre er wohl perfekt, so hätten wir auch nichts mehr zu tun 😊 

 

Der Samen wird in den vorbereiteten – eventuell gedüngten – Garten gesät. Dieser Samen braucht eine gewisse Tiefe in der Erde und einen richtigen Standort, wo er gut wachsen und sich entwickeln kann. Die Vorbereitung des Gartens und des Erdbodens ist immens wichtig für die Entwicklung. Auf der spirituellen Suche ist es genauso. Das Umfeld des Menschen, die Lebensweise und der Körper müssen vorbereitet werden, damit der Geist gut wachsen kann. Alles spielt eine Rolle. Man kann diese Schritte nicht umgehen oder immer abkürzen. Alles benötigt seine Vorbereitung und Zeit, sowie GEDULD.

 

Die Arbeit in unserem Garten umfasst das Gießen, Düngen und Unkraut jäten. Arbeit ist immerzu da. Jedoch erblickt man mit zunehmender Dauer und Arbeit einige Früchte des Gartens. So kann man während seiner Arbeit immer wieder die Schönheit und Entwicklung seines Gartens sehen und sich daran erfreuen. Viele verschiedene Pflanzen, Blumen oder Bäume können unseren Garten zieren. Wir sollten ihn ständig hegen und pflegen und uns gleichzeitig daran erfreuen, sowie nach der Arbeit auch einmal ruhen. Der Garten des Lebens bedarf ständiger Aufmerksamkeit, Achtsam und Arbeit. Doch ab und zu sollte man sich auch die Zeit nehmen, sich die Früchte anzuschauen.

 

Nun könnte man seinen Garten noch schützen. Wir könnten einen Zaun um den Garten bauen, damit nicht jeder hineinkann und schon gar nicht, damit jemand dort sein Unwesen treiben kann. Eine gewisse Abgrenzung ist bestimmt nicht schlecht. Manche Pflanzen brauchen anfangs Schutz vor der äußeren Witterung. Man kann sie beispielsweise abdecken oder ein Gewächshaus bauen. Sind manche Pflanzen stark genug, so kann man sie der Witterung aussetzen. Aber man weiß nie genau, welche Witterungen in unserem Leben auftauchen. Unsere inneren Pflanzen oder Samen sind immer wieder in Gefahr, kaputt zu gehen oder nicht stabil zu sein. Hier ist der innere Gärtner gefragt, wie man mit diesen Dingen umgeht. Pflanzen brauchen im Wachstum Schutz, Ruhe und Pflege. Der Mensch ebenso. Anfangs brauchen viele Menschen bei der spirituellen Suche Ruhe und ein wenig (oder auch mehr) Abstand zum Leben, um sich neu orientieren zu können. Doch dann sollte man sich wieder in die Welt wagen und sich den Witterungen des Lebens aussetzen und schauen wie man damit zurechtkommt.

 

Ja, solch ein Garten ist schwierig zu Handhaben. Man muss viel lernen was wohin kommt, wie man es pflegen muss und was man benötigt. Es gibt auf der spirituellen Suche Menschen, die man fragen kann und es gibt vielerlei Bücher und Seminare dazu. Aber letztendlich müssen wir es immer selber herausfinden, wie unser Garten zu bearbeiten ist und wie für uns die Schönheit des Gartens zu uns passt.